Seit ich Ultra-Distanzen laufe, habe ich immer wieder daran gedacht, dass ich mir irgendwann im Leben den Traum erfüllen werde, durch die Wüste zu laufen. Dank Rafael Fuchsgruber und seinem „Little Desert Runners Club“ kommt das nun für mich früher als erwartet und es geht in die älteste Wüste der Welt, die Namib.
Endlich geht es los, knapp 100 Läufer sind in Swakopmund angekommen. Nach Briefing und genauer Materialkontrolle (9,6 Kilogramm wiegt mein Rucksack ohne Wasser) ist es soweit: In drei Bussen werden wir in die Wüste gebracht. Nach etwa drei Stunden erreichen wir das Tor zum Skeleten Coast National Park. Ganz in der Nähe ist das erste Camp. Sehr bewegend ist schon unser „Einzug“ in das Camp: durch den grünen Start- und Zielbogen, der uns die nächsten sieben Tage begleiten wird, kommen wir ins Camp, die Einheimischen, die uns nun auch die nächste Woche begleiten, unsere Zelte auf- und abbauen und uns mit heißem Wasser für unsere Mahlzeiten versorgen werden, begrüßen uns singend und tanzend. Alles kommt mir vor wie in einem Film.
Ich bin so froh, endlich da zu sein, froh, dass ich endlich in der Wüste bin. Ein paar Worte zum Camp: Eine wunderbare Gemeinschaft ist das hier: Knapp 100 Läuferinnen und Läufer aus 39 Ländern laufen, marschieren und leben zusammen und so mancher Politiker sollte sich ein Beispiel daran nehmen, wie friedlich, freundschaftlich und hilfsbereit alle miteinander umgingen. Das ist eine einzigartige Erfahrung.
Ich mag das Leben im Camp: Alles ist reduziert auf das Wesentliche. Es macht plötzlich gar nichts, sieben Tage nicht zu duschen, immer dieselben Sachen zu tragen. Die meisten von uns schlafen viel zu wenig: Es ist nicht besonders bequem, meist schnarcht irgendwo jemand; aber trotzdem sind die Nächte schön: morgens rieche ich das Lagerfeuer, höre die Gespräche derer, die schon im Dunkeln um diese Feuer herum sitzen. Diese Atmosphäre ist sehr besonders. Außerdem: Kein Telefon, kein Internet. Laufen, Essen, Reden, Schlafen – sonst nichts. Das tut gut, ist befreiend.
Der nächste Morgen. Wir stehen an der Startlinie, Fotos werden gemacht, Umarmungen hier, Küsschen da. Es geht los. Ich laufe in der Namib. Unglaublich. Langsam, ganz bedächtig setze ich einen Schritt vor den anderen. Bloß nicht zu schnell, den Fehler machst du hier nicht! Ganz langsam trabe ich vor mich hin. Und freue mich. Bestimmt grinse ich die ganze Zeit dämlich vor mich hin.

Es ist wunderschön. Ich bin so dankbar, hier zu sein, dies ist ein Gefühl, dass das gesamte Rennen über bleiben wird: Selbst in schweren Momenten später im Rennverlauf habe ich immer das Gefühl, am richtigen Ort zu sein, stelle keine einzige Sekunde die Entscheidung infrage, hier zu laufen.
Die Landschaft ändert sich während der ersten beiden Etappen permanent, ganz gewiss ist die Wüste nicht eintönig. Die Farben ändern sich, die Steinformationen und der Sand ändern sich, das Licht ändert sich.
Die dritte Etappe führt über weite Strecken am Meer entlang, für mich ein Traum. Ja, es strengt an und wenn der Sand zu tief wird, marschiere ich eine Weile, statt zu laufen. Aber es ist wunderschön, irgendwann erreichen wir eine große Seehundkolonie. Ich rieche sie, bevor ich sie sehe – sie stinken ganz furchtbar, und trotzdem ist es fantastisch, an Hunderten, nein wahrscheinlich Tausenden Seehunden vorbei zu laufen.
Die ersten zweieinhalb Etappen haben wir das Glück, Rückenwind zu haben, was Gegenwind unter diesen Bedingungen bedeutet, bekomme n wir auf den letzten 10 Kilometern der dritten Etappe zu spüren: eine nicht enden wollende Mondlandschaft mit heftigem Gegenwind zwingt mich (und die meisten anderen) dazu zu gehen und gibt einen Vorgeschmack darauf, was da noch kommen kann. Und es kommt am nächsten Tag.
Ausgerechnet am langen Marsch, der gut 80 Kilometer langen vierten Etappe, kommt der Wind nicht kühl vom Atlantik her, sondern aus dem Landesinneren: heiß und irre stark als Gegenwind. Bei Temperaturen bis zu 45 Grad und ebenso heißem Gegenwind kommen viele an ihre Grenzen. An den Checkpoints liegen Läufer, auch Topläufer, und können erstmal nicht weiter. Martina aus dem Little Deserts Runners Club und ich marschieren angesichts der Bedingungen zügig, anstatt uns laufend dem Wind entgegenzustemmen. Eine gute Entscheidung, wie sich später zeigen wird.
Etwa bei der Hälfte der Strecke, also ca. nach der Marathondistanz, gibt es am vierten Checkpoint die Möglichkeit, sich in einem Zelt etwas auszuruhen, viele liegen hier und schlafen etwas. Manch einer sitzt hier und starrt mit glasigen Augen in die Leere. Wir essen nur etwas, füllen die Flaschen auf, dann machen wir uns wieder auf den Weg. Bald brauchen wir die Stirnlampe, es wird dunkel und endlich etwas kühler.
Der Weg ist nun eintönig, damit im Dunkeln niemand verloren geht, folgen wir einem Fahrweg, der jedoch immer wieder durch schlecht zu laufenden Kies führt und die inzwischen arg geschundenen Füße zusätzlich quält: Jeder Schritt schmerzt, zu den blauen Zehennägeln und Blasen an den Zehen haben sich im Laufe des Tages große Blasen unter den Füßen und an den Fersen gesellt. Durch die Gamaschen kommt bei der Hitze einfach nicht genug Luft an die Füße.
An einem der folgenden Checkpoint überrascht uns die Nachricht, dass vor uns erst 21 Läufer durch sind – und dass, obwohl wir den ganzen Tag über nicht gelaufen, sondern nur zügig marschiert sind. Heute war es wirklich wichtig, sich seine Kräfte gut einzuteilen. Entscheidend ist nun aber der Kopf: Ich bin mitten in der entscheidenden Etappe des Wüstenlaufs, auf den ich so lange hingearbeitet, auf den ich mich so gefreut habe. Es war klar, dass es hart wird, da muss ich jetzt durch. Weil ich es will. Nach quälend langen 16,5 Stunden erreichen wir das Lager. 15 Läufer sind an diesem Tag ausgeschieden.
Nach einem Ruhetag, der zu heiß ist, um wirkliche Erholung zu bringen, folgten 40 Kilometer durch traumhafte Dünen-Landschaften. Nach dem zweiten Checkpoint steigen wir auf den Kamm einer riesigen, endlosen Düne und bleiben etwa 10 Kilometer dort oben. Teilweise geht es richtig steil bergab neben uns. Wunderschön ist es – aber auch sehr, sehr anstrengend, und jedes Mal, wenn ich im Sand etwas nach unten rutsche, habe ich das Gefühl, es reißt mir die Haut von den Fußsohlen. Sehr langsam komme ich nur vom Fleck, neben den Füßen schmerzt der Rücken, sechs Nächte auf harter Isomatte und das Laufen mit zumindest anfangs schwerem Rucksack machen sich bemerkbar.

Und dann ist es Samstag, der letzte Tag. Die letzte, nur 10 Kilometer kurze Etappe steht an. Meine Füße tun irre weh, trotzdem lässt mein Kopf mich laufen, ich bin dem Ziel so nahe. Wie stark du bist, wenn du etwas wirklich willst, von Herzen willst.
Vor der letzten Düne wird bereits unsere Zeit erfasst. Dann geht es nur noch diese eine Düne hoch, angefeuert von den wunderbaren Volunteers, die uns eine Woche lang so unglaublich unterstützt haben. Tränen steigen mir in die Augen, schon wieder. Oben angekommen sehe ich das Ziel, schreie, laufe oder stolpere die letzten Meter die Düne hinunter – und bin Finisherin des Sahara Race in Namibia 2017. Dem Betreuer, der mir die Medaille um den Hals hängt, falle ich schluchzend um den Hals. Stehe danach wie benommen da und merke, dass ich fotografiert werde, sollte doch glücklich lachend meine Medaille in die Kamera halten – und bin unfähig dazu, stehe da und weine einfach nur. Ich brauche eine Weile, um zu realisieren, was ich da geschafft habe.
Die Wüste lehrt dich Demut; du lernst, am Ende gewinnt die Natur, sie ist gewaltiger als du. Aber vielleicht darfst du eine Weile lang Teil dieser grandiosen, mächtigen und übermächtig schönen Natur sein. Wenn das so ist, sei dankbar dafür. Wenn du dir eine solche Landschaft erläufst, bekommt sie eine vollkommen andere Bedeutung, als wenn du nur hindurchfährst. Dieser Lauf durch die Namib war das intensivste und grandioseste Lauf-Abenteuer, das ich bisher erleben durfte und ich bin unendlich dankbar.

