Sunrise Mind – die besondere Magie, die Sport mit den ersten Sonnenstrahlen haben kann, war auf unserer Seite in den letzten Wochen schon mehrfach Thema. Auf einem Ultralauf kann der Sonnenaufgang noch intensiver ein Zeichen des Aufbruchs, der Hoffnung, des Glücks sein als beim kurzen Morgenlauf zuhause.

Ich habe in meinem Läuferinnenleben schon häufig Sonnenaufgänge erlebt, die mich zum Weinen gebracht haben. Tränen der Erschöpfung, Tränen des Glücks und der Erleichterung oder der Ergriffenheit darüber, wie unfassbar schön die Landschaft, durch die ich gerade laufen darf, im warmen Licht des Sonnenaufgangs ist.

Ultraläuferinnen und -läufer kennen das: Manchmal starten wir in der Nacht, und dann gibt der Sonnenaufgang ein wahnsinnig gutes Gefühl, nach all den mühsamen Stunden durch die dunkle Nacht und die dabei erforderliche große Konzentration auf den Weg, zumal auf unebenen Trails. Nun wird es leichter, es wird hell, die Sonne leuchtet mir den Weg, sie wärmt mich nach der kalten Nacht. Erste Sonnenstrahlen im Gesicht geben automatisch ein Gefühl der Hoffnung, aber auch der Dankbarkeit.

Als ich vor Jahren im marokkanischen Atlasgebirge gelaufen bin, ging es nach wenigen Stunden in diesen wunderbaren Sonnenaufgang, der sich doppelt gut anfühlte für mich, da es mir vorher gar nicht gut ging, ich mit Magenproblemen gestartet war. Mit dem Sonnenlicht kam die Hoffnung auf Besserung, die sich zum Glück erfüllte. Ich hatte ein zwar hartes und anstrengendes, aber dennoch wunderschönes Rennen.

Manchmal starten wir auch bei oder kurz nach dem Sonnenaufgang und dann mischt sich die Vorfreude und Nervosität mit dem Kribbeln, das die ersten Sonnenstrahlen auf der Haut hervorrufen. Der Sonnenaufgang steht dann in hohem Maße für Aufbruch, für etwas Neues, das man wagt, ohne genau zu wissen, was einen erwartet und wie dieses Abenteuer wohl ausgehen wird. So war es auch beim Start des Ultra Mirage El Djerid, einem 100-Kilometer-Lauf in der tunesischen Sahara, am Start:

Ohnehin sind Sonnenaufgänge und auch -untergänge in der Wüste magisch. Auf diesem Lauf habe ich, inzwischen schon sehr erschöpft, auch diesen wunderbaren Sonnenuntergang erlebt (beim nächsten Sonnenaufgang lag ich aber schon geduscht und happy nach meinem Finish im Bett):

Noch niemals aber habe ich den Sonnenaufgang so sehr herbeigesehnt wie bei meinem bisher längsten Rennen. 522 Kilometer in neun Etappen bin ich im Mai 2019 bei THE TRACK durch das australische Outback gelaufen. Die letzte Etappe hatte 137 Kilometer und war damit die längste Distanz, die ich jemals am Stück gelaufen bin, und ich hatte ja zu diesem Zeitpunkt schon gut 380 Kilometer in den Beinen. Das Ziel des langen Weges war am Ayers Rock, oder Uluru, wie die Aborigines ihren heiligen Berg nennen. Immer wieder hatte ich mir, um mich zu motivieren, diesen Zieleinlauf vorgestellt.

Nach etwa 70 Kilometern lief ich mit schmerzenden Beinen und Füßen voller Blasen in die tiefschwarze Nacht. Nichts war mehr zu sehen, ich konnte mich nicht mehr, wie sonst bei diesen Läufen, an der Landschaft erfreuen und mich mit der Schönheit der Natur über Schwierigkeiten hinwegtrösten. Da war nichts mehr, alles schwarz. Damit niemand in dieser Nacht irgendwo im Outback verloren ging, führte dieser Teil der Strecke am Rande einer Straße entlang. Immer geradeaus. Endlos. Irgendwann habe ich da draußen meinen Zeltnachbarn Sascha getroffen und wir sind zusammen weitergelaufen, gegangen, gehumpelt.

Völlig übermüdet habe ich, angesichts der sich endlos ziehenden Zeit und Strecke, angefangen, darüber zu reden, dass ja immer irgendwann wieder die Sonne aufgeht, dass das also auch hier und heute so sein wird und dass wir also irgendwann, wenn die Sonne wieder aufgegangen ist, auch das Ziel erreichen werden. Wir haben dann sogar angefangen zu singen: „Und immer, immer wieder geht die Sonne auf…“ Klingt blöd, hat in dem Moment aber geholfen, schon deshalb, weil wir über uns selbst lachen mussten. Solange das noch geht, geht alles.

Kurzum, dieser bevorstehende Sonnenaufgang war für mich in dieser harten Nacht im australischen Outback das große Ziel, das große Symbol der Hoffnung, das Zeichen dafür, dass wir diese beschwerliche Reise bewältigen würden.

Gefühlt Tage später, in Wirklichkeit natürlich Stunden später, sahen wir einen schmalen hellen Streifen, das erste Tageslicht, die Sonne kam und tauchte sehr langsam und majestätisch die Umgebung in rotes, warmes Licht, das im Outback noch viel wärmer und röter erscheint, da überall roter Sand ist. Es war überwältigend. Auch wenn alles weh tat und ich kaum noch meine Augen offenhalten konnte, durchströmte mich ein Gefühl von Glück.

Die aufgehende Sonne war mehr als Hoffnung, sie symbolisierte unsere Stärke, machte uns deutlich, dass wir es gleich geschafft haben würden. Und dann haben wir in der Ferne, getaucht in warmes Licht, den Uluru gesehen, klein erst, dann immer deutlicher und eindrucksvoller. Und wir haben es geschafft, wir sind in dieses Ziel gelaufen, nach 522 Kilometern.


An diese besonderen Momente im Sonnenaufgang denke ich oft, wenn ich in diesen schwierigen Zeiten morgens zuhause, ob beim Frühstück oder beim Morgenlauf, die Sonne aufgehen sehe. Und ich denke an das Gefühl der Hoffnung und der Zufriedenheit, das damit so oft schon verbunden war – und es auch jetzt, in diesem Moment, ist.

#SunriseMind eben.

erstellt von
portrait

Andrea Löw

Historikerin von München

Altersklasse: W 50

Meine Disziplinen
Traillaufen Ultratrail Yoga / Pilates Marathon Ultramarathon

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