„Warum machst du das?“ Diese Frage hat mir ein erstaunter Tourist, den ich am Lasseter Highway im australischen Outback getroffen habe, gestellt. Ich hatte gerade dreckig, erschöpft und stinkend, eine Flasche Cola mit großem Genuss geleert, hatte auf der neunten und letzten Etappe eines 522 Kilometer langen, selbstversorgten Rennens gerade 50 Kilometer hinter und noch 87 Kilometer vor mir.
Ich habe den Herrn gebeten, mich doch bitte nochmal zu fragen, wenn ich im Ziel bin, dann wisse ich bestimmt eine Antwort. Ich bin irgendwann ins Ziel gekommen, 25 Stunden hat diese längste Etappe gedauert. THE TRACK war das härteste Rennen, das ich je gemacht habe: Neun Etappen hintereinander, die ersten beiden Tage ging es über technische Bergtrails, danach recht flach über rote Sandpisten, ausgetrocknete Flussbetten, dann wieder rote Sandpisten. Mal 40 Kilometer, mal 58 Kilometer, dann auch 66 Kilometer. Die vorletzte Etappe mit ihren 44 Kilometern wurde mir vom Rennarzt als „Recovery Day“ verkauft. Schlafsack, Isomatte, Daunenjacke, Verpflegung, Erste-Hilfe-Set und was ich noch gebraucht habe, war im Rucksack und scheuerte meinen Rücken wund.

Ich habe zwischendurch gelitten, geweint und unschöne Dinge ins einsame Outback geschrien. Gleichzeitig hat mich dieser zehntätige Lauf so unglaublich glücklich gemacht, und noch zwei Monate nach dem Finish vermisse ich vieles. Ich versuche also die Frage des Touristen zu beantworten: Warum mache ich das?

Zunächst liebe ich diese Art von Laufabenteuern. Ich habe vor einigen Jahren Etappenrennen für mich entdeckt, am liebsten laufe ich dabei durch entlegene Gegenden, in die ich sonst wahrscheinlich niemals gekommen wäre. Das ist irre spannend. Während der langen Etappen habe ich viel Zeit mit mir selbst, alles ist ruhig, das erdet mich ungemein. Zuhause laufe ich oft durch den Englischen Garten, jeder, der das an einem Sonntag bei schönem Wetter mal gemacht hat, kann den Kontrast zur Stille in der Wüste oder nun eben im Outback erahnen.

Ich treffe auf diesen Laufevents wahnsinnig interessante und liebenswerte Menschen, denen ich ohne diese gemeinsame Leidenschaft niemals begegnet wäre. Das sind Läuferinnen und Läufer aus aller Welt, die eine jeweils so spannende Geschichte haben. Zwar gibt es natürlich auch bei einem Rennen wie in Australien Platzierungen, aber das Miteinander ist tatsächlich wichtiger. So war ich im Outback, um ein Beispiel zu nennen, lange mit Heather unterwegs, einer wunderbaren Australierin. Wir haben uns fast unsere gesamte Lebensgeschichte erzählt, waren froh und dankbar, Teile des schwierigen Rennens in so netter Begleitung zu absolvieren. Wir waren am Ende die zweite (Heather) und dritte (ich) Frau, in „normalen“ Wettkämpfen wäre das Grund genug, nicht gemeinsam auf der Strecke stundenlang zu reden. Aber bei dieser Art von Rennen geht es eben auch und vor allem um Begegnungen. Kerstin, mit der ich an den ersten beiden Tagen lange unterwegs war, und ich sind schon angemeldet, um nächstes Jahr als Zweierteam beim Ultra Norway Race zu starten. Viele Läufer, mit denen ich in Australien ein Stück des Weges gemeinsam bestritten habe, kannte ich schon von Rennen in anderen Ländern.

Damit eng zusammenhängend: Meist laufe ich bei diesen Wettkämpfen allein, genieße durchaus die Zeit, die ich dann ganz in Ruhe mit mir selbst habe. Aber es gibt eben auch sehr schwierige Momente, und dann kann Laufen zum Teamsport werden. Das war auf der eingangs erwähnten 137 Kilometer langen Schlussetappe der Fall. Mein Zeltnachbar Sascha ist eigentlich schneller unterwegs als ich, so dass wir acht Etappen lang nie zusammen gelaufen sind, sondern uns nur am Start und dann erst wieder im Ziel gesehen haben. Da es aber am Ende dieses anspruchsvollen Rennens nicht nur mir, die ich mit fiesen Blasen und einem entzündeten Schienbein in die letzte Etappe gestartet bin, nicht mehr so ganz optimal ging, sondern das bei Sascha genauso war, haben wir uns mitten in der dunklen Nacht, ungefähr bei Kilometer 70, getroffen. Danach sind wir zusammen geblieben, haben gemeinsam gelitten, aber uns auch immer wieder gegenseitig wieder aufgebaut, geweint und gelacht, sogar gesungen und irgendwann haben wir in den dunklen Schatten der Bäume dieselben Tiere erkannt: „Schau mal, ein Pudel!“ – „Oh ja, ein Pudel, wie schön!“ Nein, wir hatten nichts genommen… Jedenfalls sind wir gemeinsam, in einer Mischung aus Laufen und Marschieren, gemeinsam am Ayers Rock, oder Uluru, wie die Aborigines den ihnen heiligen Felsen nennen, ins Ziel eingelaufen. Das war großartig.

Überhaupt, der Zieleinlauf! Das ist ein großer Teil der Antwort auf die Frage, warum ich das mache. An einem solchen Wettkämpf hängt so unglaublich viel: Da ist die lange Vorbereitung, die Organisation der Ausrüstung, die Anreise, dann durchlebst du während des Rennens so unglaublich intensive Momente, da sind ganz wunderbare Momente dabei, aber eben auch schwierige. Und gerade, wenn es schwer wird, wenn alles weh tut, wenn du das Gefühl hast, heute ist der Rucksack besonders schwer und von der Stelle kommst du auch nicht – dann stellst du dir, bzw. zumindest stelle ich mir dann immer vor, wie wunderbar dieses Finish wird, ich mache das oft, das hilft mir in Krisensituationen sehr. Ein solcher Wettkampf ist eine sehr emotionale Angelegenheit. Und wenn ich dann tatsächlich diese Ziellinie überquere, ist das ein so großartiger Moment, dass ich dafür sehr viel zu leisten bereit bin. Von solchen Momenten zehre ich unglaublich lange, eben auch in meinem „normalen“ Leben. Wenn es schwierig wird, erinnere ich mich daran, was ich da, in dieser Situation, geschafft habe. Daneben verblasst dann manch anderes Problem ziemlich.

Und damit bin ich beim letzten Punkt: Es ist unglaublich, wie viel Kopf und Körper zusammen zu leisten imstande sind. Wenn mir vor Jahren jemand gesagt hätte, dass ich jemals einen Ultralauf versuchen werde, hätte ich mich kaputt gelacht. Dann habe ich mich und meinen Körper aber langsam an längere Distanzen herangeführt, die Neugier auf all die möglichen Abenteuer war irgendwann zu groß. Und nun bin ich beim, so heißt es, längsten selbst versorgten Rennen der Welt (es gibt längere Etappenrennen, aber bei diesem hier hat man eben seine gesamte Ausrüstung auf dem Rücken), an einem sehr magischen Ort in Australien ins Ziel gelaufen. Von 38 Startern haben nur 18 die gesamte Distanz bewältigt. Ich bin sehr glücklich und auch stolz, dass ich es geschafft habe.

Es gibt weitere Antworten auf die Frage warum ich das mache. Dies waren einige der wichtigsten. Bald habe ich wieder viel Zeit, über weitere Antworten auf diese Frage nachzudenken. In acht Wochen darf ich in Tunesien beim „Ultra Mirage El Djerid“ 100 Kilometer, diesmal am Stück, durch die Sahara laufen. Ich freue mich, freue mich auf die Landschaft und Stille in der Wüste, auf die Begegnungen und die große Herausforderung. Ich werde berichten.

(Fotos: privat / CanalAventure©G.Pielke&D.Lemanski)

erstellt von
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Andrea Löw

Historikerin von München

Altersklasse: W 50

Meine Disziplinen
Traillaufen Ultratrail Yoga / Pilates Marathon Ultramarathon

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