Ich war beim Start schon so happy, überhaupt starten zu können. Das Wetter war perfekt, ich fühlte mich total fit und freute mich sooo auf diese 42,195 km. Meine erwartete Zielzeit hatte ich mit 3:25 h angegeben. Einfach so, weil man eine Zielzeit angegeben musste.
Als im Startblock D die beiden Pacemaker für 3:15 vor bzw. hinter mir standen, war mit das erst gar nicht recht. Denn ich wusste, dass ich mich dann doch an ihnen orientieren werde. Ich kenne mich ja… Als sich nach den ersten Kilometern auf St. Pauli das Feld sortiert hatte, fühlte sich alles total super an. Ich entschied, einfach mal an den Pacemakern dran zu bleiben. Die Stimmung war jetzt schon gigantisch, ich musste dauergrinsen.
Als es an der Elbe Richtung Innenstadt ging, war mir das Tempo einen Tick zu schnell. Und dieser Tick kann sich böse rächen. Also ließ ich die 3:15-Jungs ziehen, was meiner Laune keinen Abbruch tat. Überhaupt nicht. Ich wollte einfach einen verdammt geilen Marathon genießen.
Ich freute mich sooo sehr auf die Landungsbrücken, die Elbe, den Fischmarkt – hier ist die Stimmung immer so fantastisch. So oft hörte ich meinen Namen, winkte oder brüllte zurück und fühlte mich wie auf Wolke 7. Auch, weil ich mein Knie nicht spürte. Bei km 12 futterte ich mein erstes Gel – Vanille. Ich war längst im Marathon angekommen. Im Wallringtunnel wurde wieder mega Party gemacht. Alle Läufer klatschten, ich machte natürlich mit. Zum x. Mal hatte ich Gänsehaut.
Nach dem Tunnel liefen wir um die Binnenalster. Die Zuschauer waren auch hier überwältigend. Ich konnte meine Pace knapp unter 4:40 min/km halten. Das freute mich einfach soooo sehr. Nie nie hätte ich gedacht, dass ich heute in so einer Form laufen kann. Eine klassische Marathonvorbereitung hatte ich noch nie, aber dieses Mal war es am aller „untypischten“. Keine langen Läufe, dafür viel Grundlagentraining auf Crosstrainer und Bike. Dazu (noch ausbaufähiges) Training für Rumpf und Außenrotatoren. Ob ich das dann alles auf den Asphalt bringen kann, ich wusste es nicht. Nach meinem Halbmarathon vor 3 Wochen war ich guter Dinge. Aber trotzdem auch ein bisschen nervös.
Ich lief überwiegend in Männergruppen. Und da wird man – einfach nur, weil man eine Frau ist – oft doppelt angefeuert. Auch, wenn ich mich wiederhole: Aber die Zuschauer und Helfer sind so überragend. Ich bin ihnen so sehr dankbar für diesen spitzenmäßigen Support. Nach der Außenalster ging es schon langsam in Richtung Halbmarathonmarke. Ich war super gespannt, was meine Zeit sein wird und schaltete meine Uhr in die „Gesamtzeitanzeige“. Ein paar Jungs um mich herum redeten von einer erwarteten Zielzeit von 3:17 h. Das war also auch meine Standortbestimmung. Und tatsächlich: Halbmarathon in 1:38:31. Ich lag knapp auf Bestzeitkurs. Ich hier heute Pb, das konnte ich kaum raffen… Aber es lagen ja noch 21,2 km vor mir.
Es wurde allmählich richtig heiß. Heiß, das beutetet beim Marathon: ab 15 Grad. Und das sage sogar ich Frostbeule An allen Getränkestationen nahm ich nun zwei Becher: 1 x Wasser für Kopf und Nacken, 1 x Wasser oder Elektrolyte als Verpflegung. Das zweite Gel, dieses Mal „gesalzene Erdnuss“ war nun auch vertilgt. Immer wieder überrollten mich die Emotionen. Ich laufe tatsächlich den Hamburg Marathon, was ich mir so sehr gewünscht hatte. Und ich fühle mich auch noch so super. Meine Pace konnte ich geringfügig erhöhen.
Ein Marathon beginnt erst ab Kilometer 32. Sagt man – und natürlich wird es jenseits der 30 auch immer härter. Trotzdem freue ich mich immer auf diese Phase, denn man ist ja nicht mehr allzu weit vom Ziel entfernt. Bei km 32 kam sie aber plötzlich, die kurze Krise. Ich hatte auf einmal das Gefühl, „nicht mehr ganz da zu sein“. Kennt ihr das? Ich hatte das schon öfter bei einem Marathon. Wahrscheinlich der Kreislauf, ich weiß es nicht. Für ein paar Sekunden bekam ich Schiss. Was nun? Tempo rausnehmen? Noch nicht… Ich zwickte mich kurz in den Hals, öffnete Gel Nummer 3 (Kirsch-Banane) und schüttete mir an der nächsten Verpflegungsstation Wasser in den Nacken und über den Kopf.
Zudem kam ich mit einem Mitläufer ins Gespräch. Er fragte kurz: „3:15?“ Ich verneinte. „Wird wohl nicht klappen“. Er hatte diese Zielzeit hingegen, war aber auch später als ich gestartet. Zum Glück war ich wieder „voll da“ und fühlte mich super. So super man sich bei km 33 eben fühlen kann, denn die Oberschenkel wurden immer härter und schwerer. Aber das störte mich nicht. „Alles ist möglich“ – das Mantra meiner geliebten Mama begleitet mich in jedem Rennen.
Meine Durchschnitts-Pace schwankte nun zwischen 4:37 und 4:38 min/km. Ich freute mich jetzt so auf den „Hexenkessel“ in Eppendorf. „Die Zuschauer werden euch ins Ziel peitschen“, versprach der Moderator beim Start. Und genau so war es. Ich konnte immer noch ein bisschen grinsen und mit dem Armen herumfuchteln. Das wurde von den Zuschauern mit so großartigen Zurufen belohnt. DANKE! Bei km 38 war ich fix und fertig. Körperlich. Emotional aber bereits im Rausch. Ein viertes (ungeplantes) Gel, das ich an einer Verpflegungsstation mitgenommen hatte, musste herhalten… „Diese 5 km rockst du noch, Martina“, redete ich mir zu. Marathon wird zum großen Teil im Kopf und im Herzen entschieden.
Bei km 40 kam die zweite kurze Krise: Im linken Fuß kündigte sich ein Krampf an. Verdammt, NEIN. DAS DARF JETZT NICHT SEIN. PUNKT. Ich wusste, dass ich auf Bestzeit-Kurs lag. Meine 3:17:06 kann ich heute unterbieten. Doch wenn jetzt ein Krampf alles kaputt macht? Nein, das ist KEINE Option. Es war ein Kampf im Kopf. Ich lief einen Kilometer mit angezogener Fußspitze. Und tatsächlich konnte ich den Krampf abwenden.
Ich war überglücklich. Und in diesem Moment, kurz vor der 41, traute ich meinen Augen nicht: Ich sah den 3:15-Luftballon. Kurz dachte ich, der Pacemaker ist vielleicht ausgestiegen oder so. Doch als er sich umdrehte und uns Läufern zurief: „Auf geht’s. Gebt Gas, ihr schafft die 3:15 noch“, glaubte ich es. Dieses Gefühl kann ich nicht beschreiben. Ich wusste, dass ich noch ein bisschen beschleunigen muss – und es auch kann –, um mein ganz großes Ziel zu erreichen.
3:15 h hatte ich mir als nächsten Meilenstein vorgenommen. Denn ich wollte gern eine Stunde schneller laufen als bei meinem ersten Marathon im Oktober 2013. In Köln war ich 4:14:26 h gerannt. Vielleicht schaffe ich mein Vorhaben ja im Herbst – das war mein Wunsch. Denn Erwartungen will ich bei einem Marathon nicht mehr haben. Das hat mich der Berlin Marathon vor 2 Jahren gelehrt. „Noch 4 Minuten durchhalten“, rief der Pacemaker. Ich gab alles. Ein Moderator nannte auf einmal meinen Namen. „Martina, das ist dein Applaus“. Warum, keine Ahnung. Wahrscheinlich, weil ich eine der wenigen Frauen in meinem Pulk war. Die ersten Tränchen kamen.
Und da war er: der rote Teppich. Ich war so emotional, so überwältigt, so überglücklich, so dankbar und erleichtert. Ich riss meine Hände nach oben, es war einer der Herzensmomente meines Lebens. Im Ziel musste ich mich dann kurz hinlegen. Um dann aufzuspringen, einem Sanitäter auf die Schulter zu hauen und zu brüllen: „soooooo geil“. Der guckte mich nur etwas irritiert an und meinte dann trocken: „Glückwunsch“.
Die WhatsApp meiner Mama samt meiner Urkunde war da schon wesentlich emotionaler: „Wahnsinn. Hammer. Wir sind hier alle aus dem Häuschen“. 3:14:59 h. DANKE, Hamburg, Danke an meine geliebte Mama, Danke an alle Zuschauer und Helfer.