Nun stehe ich hier an der Startlinie – mit einer unbändigen Vorfreude in mir. Ich fühle mich super, die Sonne scheint, ich will einfach nur rennen, rennen, rennen. Meine Mama ist vom Allgäu aus „dabei“, das ist der allerbeste Support.
Und jetzt endlich, der Countdown. Ich bin so on fire, es geht loooooos. Ich komme prima weg, laufe gleich schon im vordersten Feld. Wolfsburg, pack ma’s. Nach ungefähr einem Kilometer kommt Jörg an meine Seite. Er stellt sich vor. „Hi, ich bin Jörg. Und ich darf heute die erste Frau begleiten“. Ich antworte mit einem Lachen: „Schau ma mal, wie lange das geht mit uns zwei“. Keine Ahnung, wie schnell die anderen Mädels sind.
Die ersten Kilometer durch die Innenstadt lassen schon erahnen, was mich da heute erwartet. Die Helfer und Zuschauer sind großartig, feuern mich an, rufen meinen Namen. Und ich habe eine Fahrradbegleitung. Mein Ziel: So lange wie möglich an erster Stelle zu bleiben, um dieses mega Gefühl zu genießen. Ich bei einem Marathon in Führung bei den Frauen – ich darf mich gar nicht näher mit diesem Gedanken beschäftigen. Zu emotional würde ich sonst werden.
Doch Emotionen sind trotzdem au masse in mir. Ich laufe Marathon – das Größte für mich. Ich habe mich so sehr auf Wolfsburg gefreut, wollte diese Stadt kennenlernen, war mit dem Herzen längst hier angekommen, bevor ich „körperlich“ in der Volkswagencity war. Doch vor wenigen Tagen kam alles anders. Ich erlebte eine so große „menschliche Enttäuschung“, wollte den Marathon schon canceln. Aber jetzt laufe ich – und bin überglücklich.
Jörg ist genial. Da ich Wolfsburg noch nicht kenne, bekomme ich von ihm eine Stadtführung. Er hat mir während der 42,195 Kilometer so viel über die Stadt erzählt, großartig. Ich würde mal behaupten, ich kenne mich jetzt sogar ein bisschen aus. Um mich herum laufen ein paar Jungs, wir unterhalten uns über unsere anvisierte Zeit. Und einigen uns auf eine 3:15 h. Ralf, der spätere Sieger, hat keinen konkreten Plan. Für ihn ist der heutige Lauf eine Vorbereitung für einen 100er. Hammer.
Eines der vielen Highlights sind die Autostadt und das VW-Werk. Hier laufen wir einfach mal quer durch. Mega. Mega sind auch die Leute an der Strecke. Ich höre so oft meinen Namen – egal, ob von den Zuschauern, den Streckenposten, den Helfern an den Verpflegungsständen. Ich hoffe, dass das ein paar von ihnen lesen. Denn ich möchte so ein herzliches Dankeschön sagen. Immer wieder bin ich ganz gerührt. Wildfremde Menschen unterstützen mich hier so fantastisch, das ist echt was ganz Besonderes.
Wir laufen durch das Stadion des VfL Wolfsburg. Wie geil. Und es kommt das Lied, das immer gespielt wurde, als Wladimir Klitschko in den Ring zog. Ich schalte mal eben den Turbogang ein. Immer wieder schiele ich auf meine Uhr – und registriere, ich bin zu schnell. Ich hatte mir eine Durchschnitts-Pace von 4:35 min/km vorgenommen. Doch ich bin bislang „sub 4:30“ unterwegs. Ob sich das rächen wird? Irgendwann ist mir das wurscht. Ich laufe einfach mit meinem Herzen – egal, was kommt.
Irgendwie vergeht die erste Runde wie im Flug, gleich passiere ich die Halbmarathonmarke in der City. Und was ich da erlebe, treibt mir zum ersten Mal die Tränen in die Augen. Die Leute bejubeln mich so sehr, das ist einfach so etwas einzigartig Tolles. Ich höre, wie der Moderator sagt: „Ist das die Martina? Ja, das ist die Martina“. Ich fühle mich total geehrt. Auch als er sagt, dass ich richtig schnell unterwegs bin. Den Halbmarathon absolviere ich in 1:35:52 h. Ein bisschen Schiss vor einem Einbruch habe ich schon, denn langsam muss ich etwas mehr „investieren“. Ganz so fluffig, wie am Anfang, läuft es nicht mehr. Aber immer noch mega genial.
Es geht nun wieder raus aus der Innenstadt. Nun weiß ich ja, was mich erwartet. Eigentlich sind 2 identische Runden bei einem Marathon gar nicht so schlecht. Langsam wird es heiß, verdammt heiß. Die Temperaturen dürften über 20 Grad liegen, die Sonne knallt. Genau mein Wetter. Aber ich brauche viel Wasser. Zum Trinken, zum Kühlen. Ich schütte mir an jeder Verpflegungsstelle Wasser ins Gesicht und in den Nacken, presse einen Schwamm über mir aus. Das tut echt gut. Auch, wenn ich eine klitschnasse Hose habe, was ein bisschen unangenehm ist. Macht nix.
Ich liebe es beim Marathon, wenn ich die 30 Kilometer-Marke geknackt habe. „Nur noch 12 Kilometer“, denke ich – auch wenn nun der Marathon erst richtig losgeht. Und zugegeben, spätestens bei den 32 Kilometern bin ich richtig im Sack. Es ist knallheiß, meine Waden sind steinhart, ich kämpfe. Gern würde ich jetzt in den Allersee hüpfen, an dem wir entlang laufen. „Manchmal fragt man sich schon, warum man sich das antut“, sage ich zu Jörg. Er versteht mich, hat selbst schon 13 Marathons und diverse Triathlon-Langdistanzen gerockt. Und er pusht mich so unglaublich, ich bin ihm so dankbar. Dass er „die zweite Frau nicht sehen konnte“, als er sich umgeschaut hat, ist eine wertvolle Info für mich. Denn jetzt will ich nur noch eins: Das Ding gewinnen.
Es trennen mich noch 7 Kilometer von meinem größten Erfolg. Ich kann hier und heute einen Marathon gewinnen. Das ist so unfassbar für mich. „Wäre nicht schlimm, wenn es 3:15 h werden oder sogar schneller“, meint Jörg. Die Zeit ist für mich aber gerade Nebensache. Ab Kilometer 38 fighte ich gegen aufkommende Krämpfe in die Zehen. Nein, nein, nein. Ich steuere mit aller Macht dagegen. Und liebe die Leute an und auf der Strecke. Sie peitschen mich weiter. Ein Streckenposten ruft mir zu, „weiter so, junge Dame“. Ich schreie zurück „Danke für das Jung“. Er lacht. Und ich kann einfach nicht mehr. Doch der Körper kann so unendlich viel leisten, wenn Kopf und Herz wollen. Und die wollen verdammt nochmal!
„Du bist 1. Frau und 3. bei den Männern“, informiert mich ein Streckenposten bei Kilometer 41. Ich kann mein Glück kaum fassen. Mir tut alles weh, aber ich renne mit dem Herzen. Niemals werde ich diesen Moment vergessen, als ich die Pestalozziallee hinunter laufe und weiß, dass ich nun gleich links auf die Zielgerade abbiegen darf. Die Zuschauer jubeln mir zu, so sehr. Ich weiß gar nicht, wie ich diese letzten Meter in Worte fassen soll. Die Emotionen überrollen mich total. Ich gewinne jetzt einen Marathon. Mein Lebenstraum. Die Erschöpfung spüre ich schon fast gar nicht mehr. Ich genieße es einfach nur. Der Zieleinlauf ist einer der allerschönsten Momente in meinem nun 40-jährigen Leben. Glück, Dankbarkeit, Demut, Riiiiiieeeeeesenfreude.
Ich werde gleich von zwei Journalisten interviewt. Aus mir sprudelt es nur so heraus. Noch habe ich keine Ahnung, was ich für eine Zeit gelaufen bin. Als ich diese erfahre, macht mein Läuferherz einen doppelten Salto: 3:12:10 min. Fast drei Minuten schneller als meine „alte“ Bestzeit. Während ich bei der Siegerehrung ganz oben auf dem Treppchen stehe, ein 3-Liter-Glas Erdinger Alkoholfrei in den Händen halte und meine großartigen Preise entgegennehme, kann ich das alles noch gar nicht fassen. DANKE Wolfsburg, für dieses unvergessliche Erlebnis – nun bist du eine „Herzensstadt auf ewig“ für mich geworden.
Fotocredit: www.marathon-photos.com