Ich war im Vorfeld sehr unsicher, da ich nur wenig trainieren konnte, durch Probleme mit dem Piriformis und dem ISG war ich mehrere Wochen lahm gelegt. Mein letzter wirklich langer Lauf war beim Ultra Africa Race in Mosambik, und das war im November. Trotzdem habe ich mich gefreut wie verrückt, wollte mich auf dieses Abenteuer einlassen und zur Not eben wandern. Doch dann kam alles anders, es wurde nämlich gut, richtig gut.
Von Anfang an war es gut: Am Tag der Ankunft ein Wiedersehensbier mit der Kanadierin Stephanie, die in Mosambik meine Freundin wurde, sowie Jérôme und Bruno, dem Renndirektor und dem Rennarzt von Veranstalter Canal Aventure. Spaziergänge in der Altstadt und ein erster kleiner Lauf im chaotischen und lauten Hanoi, einfach Ankommen steht für mich auf dem Programm. Am Folgetag ziehe ich ins Adamas Hotel um, in dem alle Teilnehmer eine Nacht verbringen werden. Die Pflichtausrüstung wird kontrolliert, am Abend lernen wir uns bei einem gemeinsamen Abendessen kennen.
Am nächsten Morgen geht es für uns 16 Läuferinnen und Läufer aus elf verschiedenen Ländern raus aus dem Trubel, rein in die Landschaft: In etwa fünfstündiger Busfahrt geht es von Hanoi nach Pa Co, wo wir bei einer Familie übernachten, die einen großen Teil ihres Wohnraumes für uns geräumt hat. 16 dünne Matratzen liegen für uns bereit. Abends bekommen wir noch ein leckeres Essen, das letzte für einige Tage, da wir uns während des Rennens ausschließlich mit den Dingen verpflegen müssen, die wir mitgebracht und in unserem Rucksack auch während des Laufens dabei haben.
Die Hähne und Hunde der Familie versuchen sich in dieser Nacht gegenseitig zu übertönen, übertönen sogar das Schnarchen einer Läuferin. Wir schlafen kaum. Doch das Adrenalin lässt uns am Morgen alle hellwach sein. 30 Kilometer mit 1000 Höhenmetern im An- und 2000 Höhenmetern im Abstieg stehen uns auf unserem Weg von Pa Co nach Xam Khoe bevor. Nachdem der morgendliche Regen aufgehört hat, ist es schwül-warm. Einige steile Anstiege bringen mich extrem ins Schwitzen. Bruno hat uns gewarnt: Die Gefahr, hier angesichts der hohen Luftfeuchtigkeit zu dehydrieren, sei groß, bitte immer trinken. Als mir nun nach nur 30 Minuten Renndauer der Schweiß wie verrückt den Körper hinunter rinnt, wird mir klar, dass er Recht hat. Ich trinke.
Und laufe langsam weiter, passe auf einem technischen und rutschigen Downhill sehr auf mich auf, freue mich über Palmen- und Bambuswälder und die wunderschönen Reisfelder.
Im Ziel gibt es eine schöne Überraschung: Wir übernachten während des Rennens in Stelzenhäusern der Muong-Minderheit. Das wusste ich, musste ja deshalb dieses Mal auch keine Isomatte dabei haben. Nun sehe ich: Es gibt eine Dusche, der Raum mit unseren Matratzen ist recht geräumig und wir können beim Hausbesitzer sogar eine Dose Bier kaufen. Das ist bei weitem luxuriöser, als ich das von meinen bisherigen Etappenrennen gewohnt bin.
Am nächsten Tag steht mit 48 Kilometern und jeweils 1500 Höhenmetern hoch und runter die längste Etappe auf dem Programm. Durch kleine Dörfer geht es zunächst durch Reisfelder, im Hintergrund sehe ich die Berge. Dies ist die Landschaft, die uns vier Tage lang begleitet und mein Herz auch in der Erinnerung noch schneller schlagen lässt: Terassenförmig angelegte Reisfelder in satten Grüntönen, dahinter die Silhouetten der Berge. Es ist einfach nur wunderschön.
In einem der Reisfelder bekommen wir nasse und sehr schlammige Füße, eine erste Flussquerung ist dann noch mit einem kleinen Boot für uns organisiert.
Später gibt es weder Boot noch Brücken. Die Markierungen weisen klar den Weg ins Wasser. Ziemlich oft muss ich diesen Fluss in den nächsten paar Kilometern durchwaten, zwischendurch denke ich immer mal wieder darüber nach, den Dreck aus meinen Schuhe zu holen, aber dann schicken mich die Markierungen schon wieder ins Wasser. Aber irgendwie macht auch das Spaß, und meine Füße kommen erstaunlich gut klar mit der dauernden Nässe.
Nach dem zweiten Checkpoint geht es auf den mit 18 Kilometern längsten Teil dieser Etappe. Hoch und immer weiter hoch muss ich, es ist anstrengend, zugleich ist dieser Abschnitt aber auch wunderschön. So kämpfe ich mich weiter, einfach immer weiter und nach gut siebeneinhalb Stunden komme ich erschöpft, aber glücklich ins Ziel.
Es folgt die wohl lauteste Nacht – zu den Hähnen und Hunden gesellen sich Frösche, die ein irrwitziges nächtliches Konzert veranstalten. Ich weiß nicht, ob es Ohrstöpsel gibt, die diese Art von Lärm ausschalten können, meine sind dazu jedenfalls nicht in der Lage. Sei es drum, wir haben alle dasselbe Problem, und so humpeln am nächsten Morgen übermüdet aussehende Läuferinnen und Läufer mit schweren Beinen die Treppen hinunter. Bruno kümmert sich um unsere Füße, dann geht es auch schon wieder los.
Nur 35 Kilometer von Kho Muong nach Xôm, beruhigt ging ich an den Start. Die 2000 Höhenmeter im Anstieg (bei 1500 Höhenmetern Abstieg) hätten mich misstrauisch machen sollen. Merke: Höre gut zu, wenn der Renndirektor sagt, der schwerste Teil des gesamten Rennens steht auf dieser Etappe bevor. Schon bei Kilometer 7,8 würde uns eine steile Stelle im Wald erwarten, wo zur Sicherheit ein Seil gespannt sei, wir könnten ja schauen, ob wir es brauchen oder nicht. Diese Worte Jérômes im Ohr, sehe ich mich dann tatsächlich vor einem weglosen Anstieg, der aussieht wie eine Wand. Nur, dass wir eben rauf müssen. Auf allen vieren geht es nach oben, immer mal wieder ein bisschen heruntergerutscht, wow, das hat es in sich. Meine Beine sind danach so wackelig, dass ich den anschließenden Downhill mehr stolpere als laufe und dann auch noch hinfalle – passenderweise lande ich ausgerechnet direkt vor den Füßen des Fotografen.
Die berüchtigten fünf Kilometer bergan, vor denen wir gewarnt wurden, gehen dann besser als erwartet. Zwischendurch gibt es zwar Passagen, die so steil sind, dass ich auf allen Vieren hoch krieche und manchmal denke, dass meine Waden gleich vermutlich zerspringen. Aber irgendwie geht es weiter. Der Schweiß läuft nur so, immer wieder bleibe ich stehen, atme tief durch und trinke etwas. Oben angekommen, geht es durch einen richtigen Dschungel, es ist eng, immer wieder bleibt mein Rucksack an Ästen hängen. Die Vegetation ist tief grün, die Schmetterlinge bunt und es ist schön. Für diese 35 Kilometer brauche ich fast so lange wie für die 48 Kilometer am Vortag: 7:22 Stunden. Diese Etappe hatte es in sich.
Abends hatte ich gesehen, dass mir nur 12 Minuten fehlten, um nicht nur als dritte Frau, sondern auf dem siebten Gesamtplatz zu finishen. Ich möchte das auf jeden Fall versuchen und laufe also motiviert los in die mit 43 Kilometern bei 1500 Höhenmetern im An- und 2000 Höhenmetern im Abstieg auch nicht eben leichte Etappe.
Es läuft an diesem Tag gut bei mir. Und dann – verlaufe ich mich kurz vor dem ersten Checkpoint. Am Ortseingang von Pu Bin biege ich falsch ab. Vermutlich haben Kinder einige Markierungen entfernt und sich einen Spaß daraus gemacht, sie an anderer Stelle wieder anzubringen. Mich führen diese Markierungen jedenfalls direkt… in den Hinterhof eines Hauses. Das ist falsch, so viel steht fest.
Ich irre weiter im Dorf herum, finde keine Markierungen mehr, wedele Einheimischen meine Karte entgegen, diese schicken mich wieder zurück. Doch ich gelange wieder zu den falschen Markierungen, bin plötzlich völlig fertig. Doch dann insistiert ein Ortskundiger, ich müsse zurücklaufen. Und nach nur wenigen sehr verunsicherten Schritten sehe ich den Checkpoint. Ich war so nah dran gewesen!
Ich eile weiter, um nur wenig später im Wald wieder nach Markierungen zu suchen, doch an dieser Stelle hält meine Verzweiflung nur sehr kurz an, denn fast alle kommen mir alle entgegen. Sie waren länger der falschen Fährte gefolgt, nun suchen wir gemeinsam den richtigen Weg und werden zum Glück bald fündig.
Von nun an mache ich etwas mehr Tempo, da ich sehe, dass die anderen auch nicht mehr ganz frisch aussehen. Es folgt ein wunderbarer lang gezogener Downhill über etwa acht Kilometer, es läuft, ich freue mich und fühle mich leicht. Es macht Spaß. Beflügelt werde ich noch dadurch, dass ich gerade auf dem unglaublichen vierten Platz unterwegs bin. Am zweiten Checkpoint empfängt mich die immer strahlende Thảo mit den Worten, dass es nun nur noch 13 Kilometer bis zum Paradies seien. Paradies, ich komme!
Nun durchlaufen wir erstmals in diesen Tagen touristisch erschlossenes Gebiet, Europäer oder Amerikaner sind auf Fahrrädern unterwegs und feuern uns an. Es ist inzwischen heiß, sehr heiß. Nach diversen Schweiß treibenden Anstiegen, mit denen ich so gar nicht mehr gerechnet hatte, komme ich auf eine Straße, die bergab führt. Noch knapp sechs Kilometer! Ich beginne zu rennen, weiß jetzt, dass ich es auf jeden Fall schaffe und da es die letzte Etappe ist, muss ich auch meine Beine nicht mehr schonen. Also los. Jedoch: Es zieht sich. Sechs Kilometer können lang sein.
Dann biege ich um eine Ecke und plötzlich ist das Ziel ganz nah. Ich sehe Jérôme und schreie. Zieleinläufe bei solchen Rennen sind eine sehr emotionale Sache für mich, ich habe Tränen in den Augen und schreie vor Glück. Überglücklich werfe ich mich in Jérômes Arme.
Es gibt eine kalte Finisher-Cola, wir machen Fotos, und dann feiern wir den Rest des Tages über sehr ausgiebig, den nächsten Tag ebenso und an beiden Abenden auch. Die Mai Chau Ecolodge ist, wie von Thảo angekündigt, ein wahres Paradies und wie dafür gemacht, sich nach den Strapazen eines Ultralaufes auszuruhen.
Ich bin dankbar und glücklich und freue mich, noch etwas Zeit mit meiner verrückten Ultra-Familie verbringen zu dürfen. Es ist unglaublich, wie nah man sich kommt, wenn man solche Erlebnisse teilt. Ich mag das. Sehr. Wir schmieden schon Pläne, überlegen, bei welchem Ultralauf wir uns vielleicht im nächsten Jahr wieder sehen können. Stephanie, der Engländer Mark und ich schreiben seitdem permanent auf WhatsApp und versuchen, uns auf ein gemeinsames Ziel zu einigen. Gar nicht so leicht bei den Wohnorten Toronto, London und München. Aber wahrscheinlich sind wir bekloppt genug und laufen nächstes Jahr beim legendären Rennen The Track 520 Kilometer im australischen Outback.
Aber jetzt – muss nach der Regeneration erstmal das Training für den Gobi March in der Mongolei in diesem Sommer beginnen!
(Fotos: CanalAventure©H.HuyNgô)